Unruhe by Jesper Stein

Unruhe by Jesper Stein

Autor:Jesper Stein [Stein, Jesper]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-06T23:00:00+00:00


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War da etwas? War es der Busen? Dieser Blick? Warum bin ich so schwach? Fuck, dachte Axel und schlug zweimal auf das Lenkrad, als er wieder im Auto saß. Es hatte rein gar nichts mit ihrem Busen zu tun, ihre Erzählung hatte ihn an ganz anderer Stelle berührt.

Das verlorene Kind. Im Stich gelassen. Ganz gleich, wie sehr Berichte über Frauen, die auf die eine oder andere Weise Väter daran hinderten, ihre Kinder zu sehen, sein Blut in Wallung brachten, so traf ihn das hier tiefer. Das Kind, das wegen der Erwachsenen unmenschliche Entbehrungen ertragen musste.

Er versuchte, sich zu sammeln. Der Puls klopfte unangenehm an der Schläfe.

Was habe ich von ihr erfahren? Dass Enver Davidi mehr Mensch als Drogendealer, Scheißkerl und Lügner war? Ging man einer Sache auf den Grund, kamen immer Menschen zum Vorschein, sowohl Opfer als auch Täter, und des Rätsels Lösung verbarg sich in der Regel in dem, was sie antrieb.

Und was hatte Davidi angetrieben? Hatte er bei einem Drogengeschäft ganz groß Kasse machen wollen? Wollte er vielleicht gerne sein Kind wiedersehen? Vielleicht war es die Liebe zu Louie, die ihn angetrieben hatte – das stärkste Band, das es gab, und man ließ seine Kinder doch nicht im Stich. Oder doch?

Er dachte an seine Eltern, an die Mutter, die wie ein milchweißer Nebelmorgen im März 1977 das Haus verlassen hatte, abgeholt von einem anderen Mann, den Axel später als Leif kennenlernte. Jedes zweite Wochenende.

Er hatte am Fenster der Villa am Fortebakken gestanden und sie in einen Ford Taunus steigen sehen, der in einem weißen Nichts verschwand. Niemand hatte etwas gesagt. Er weinte nicht, erst viele Monate später, als ihm eines Nachts klar wurde, dass sie nie zurückkommen würde, dass er es niemals mehr erleben würde, wie sie in sein Zimmer kam, ihm eine Hand auf die Stirn legte und fragte, ob er etwas Schlimmes geträumt habe, während im Hintergrund die gedämpften Geräusche des Verkehrs am Grenaavejen rumorten. Sie war einundzwanzig Jahre jünger als sein Vater, und sie wäre bei der Geburt beinahe gestorben. Ein zerbrechliches Gemüt, hatte ihre Schwester über sie gesagt. Er dachte an seinen Vater, den eleganten, gut gekleideten Lebemann mit den festen Gewohnheiten und der noch festeren Hand, Oberarzt im Risskov Krankenhaus, Spezialist für Lobotomie und Mitglied im Stadtrat für die Konservativen. Er hatte nie richtig gewusst, worüber er mit Axel sprechen sollte. Als er herausfand, dass manche Kinder mit ihren Eltern tatsächlich wie Gleichberechtigte sprachen, war er schockiert – sie waren wie zwei Planeten, jeder in seiner eigenen Umlaufbahn. Nur drei Monate nachdem seine Mutter verschwunden war, hatte sein Vater seinen Kummer mit einer neuen Frau gelindert, aber es hielt nicht, dann folgte eine Frau nach der anderen, bis schließlich Mona kam. Und Mona war immer noch in dem Haus in Risskov, obwohl sein Vater tot war. Nach der Scheidung hatte er nie wieder wirklich Farbe im Gesicht bekommen, die Glut im Blick, die ansteckende Lebensfreude, die seine Antriebskräfte waren, verloschen. Selbst seine langen Tiraden hatten mit den Jahren mehr und mehr etwas Monotones und Freudloses an sich gehabt, und zum Schluss hatte der Krebs ihn aufgefressen.



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